Orgelbau in Schlesien

Die erste Nachricht über eine Orgel im Bereich des heutigen Schlesiens stammt aus den Görlitzer Annalen von 1340, wo ein durch Blitzschlag beschädigtes Werk in der St. Peter- und Paulskirche erwähnt wird. In den Anfangszeiten der Entwicklung waren es nicht selten Geistliche und Mönche, die sich mit Orgelbau und Orgelspiel beschäftigten - so beispielsweise schon im Jahre 1365 der Abt Weintrud vom Augustinerchorherrenkloster in Sagan, welcher sich als ausgezeichneter Prediger, Kantor und Organist erwies. Der erste Orgelmacher, der im Bezirk des heutigen Schlesiens genannt wird, ist der Magister Orthulphus in Görlitz 1383, dessen im Nekrolog des dortigen Minoritenordens ehrend gedacht wird.

Die Orgeln um die Wende des 15. Jahrhunderts

besaßen natürlich einen weitaus geringeren Tonumfang, als dies heute üblich ist, ebenso waren die Tasten etwas breiter und ziemlich schwergängig. Doch schon für diese frühe Zeit lässt sich die Aufstellung von Pfeifen in einem Orgelprospekt nachweisen. Die Idee, Orgeln als Schrank mit Flügeltüren auszubilden, rührt vermutlich von den Klappaltären her. Bei beiden wurden die Türen innen und außen kunstvoll bemalt und schützten das Innere vor Staub und Unrat. Im 16. Jahrhundert werden die Nachrichten über Orgelbauten zahlreicher. Es kam zur Entwicklung wichtiger, noch heute gültiger Prinzipien, wie beispielsweise das Werkprinzip und die Registergruppen. Obwohl noch nicht vollkommen ausgearbeitet, traten Stimmen mit unterschiedlicher Klangfarbe schon in mannigfaltiger Art und Weise auf. Bis Anfang des 17. Jahrhunderts entwickelte man sogar Spielereien in Form von Effektregistern wie Tremulant, Trommel, Vogelgeschrei oder auch die brüllende Löwenpfeife am Görlitzer Rathaus, welche die "Christenheit an die Auferstehung erinnern" sollte.

Aus dem Zeitraum des 30jährigen Krieges

existieren kaum noch Nachrichten über Orgelbauten, wurden wohl die harten Zeiten mit ihrem vollen Druck auch auf diesem Sektor fühlbar. Nur wenige Orgeln werden damals gebaut worden sein, dafür kam der Orgelbau hernach umso mehr zu hoher Blüte: Mit der klaren Gliederung des Werkaufbaus, dem vollständigen Ausbau des Eng- und Weitchores sowie dem Abschluß der Entwicklung der Zungenstimmen ließ sich der Farbenreichtum entscheidend vergrößern. Ein wesentliches Merkmal dieser sogenannten "Hochbarock-Orgeln" ist auch ihr klarer Klang, der durch die variablen Mensurverläufe die polyphone Linienführung klar hervortreten läßt.

Stellvertretend seien hier folgende Instrumente genannt:
• die große Orgel der Friedenskirche in Schweidnitz von Christoph Klose (1669),
• die "Sonnenorgel" der St. Peter- und Paulskirche zu Görlitz von Eugenio Casparini (1703),
• die Orgel der Gnadenkirche zu Landeshut von Ignatius Mentzel (1729),
• die Orgel der Gnadenkirche zu Hirschberg von Johann Michael Röder (1729),
• die Orgeln von Michael Engler dem Jüngeren in Brieg (1730), Grüssau (St. Marien, 1739) und Breslau (St. Elisabeth, 1761).

Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts

ging auch der "Sommer" des schlesischen Orgelbaus zu Neige. Das 19. Jahrhundert brachte auf dem Gebiet des Orgelwesens eine erhebliche Bautätigkeit in Bezug auf die Instandsetzung der alten berühmten Orgeln, so beispielsweise in Breslau die Engler-Orgel in St. Elisabeth, die Röder-Orgel in der Magdalenenkirche oder die Casparini-Orgel in St. Bernhardin. Die beiden bedeutendsten Orgelbauer zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Johann Christian Benjamin Müller und Johann Gottlieb Benjamin Engler, letzterer ein Enkel des berühmten Michael Engler, in dessen Tradition sie bei Johann Gottlieb Benjamins Vater das Orgelmacher-Handwerk erlernten. Von ihnen stammt die überragende Breslauer Domorgel (1805). Im Laufe deren Errichtung entstanden zwischen den Männern jedoch derartige Kontroversen, daß sich ihre Wege schließlich trennten. Während Johann Gottlieb Benjamin Engler bereits 1829 kinderlos starb, lebte die Orgelbauer-Tradition in der Müllerschen Linie noch bis ins 20. Jahrhundert fort. Bildete sich im 19. Jahrhundert auch eine Zeit der großen Instandsetzungen im Orgelbau aus, so gab es dennoch Orgelmacher, die es durch Neubauten auf der Basis von fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einem angesehenen Namen brachten, wie Karl Friedrich Ferdinand Buckow, der zunächst eine große Zahl kleinerer Orgeln baute und schließlich durch einen überaus gelungenen Auftrag in Wien noch einmal großes Aufsehen erregte.

Im Zuge der Industrialisierung

fand auch im Orgelbau ein Übergang zum Fabrikwesen statt. In diese Zeit fällt die Gründung der Orgelbaufirma Schlag & Söhne, Schweidnitz. Der aus Staschwitz beit Zeitz stammende Christian Gottlieb Schlag war nach seiner Lehrzeit nach Jauer gekommen und dort in einer Orgelbau-Werkstatt beschäftigt. Nach deren Konkurs machte er sich 1831 selbständig und verlegte seine Werkstatt 1834 nach Schweidnitz, da er den Auftrag zum Umbau der großen Orgel in der Friedenskirche erhielt. 1869 gründete er schließlich zusammen mit seinen Söhnen Theodor und Oskar das spätere Orgelbau-Imperium, welches noch bis in die 1920er Jahre bestand. Theodor Schlag baute bereits nach 1870 die kurz zuvor erfundenen Kegelladen mit hängenden Ventilen. Oskar Schlag lernte in London bei Willis den Bau von Hochdruck-Registern zur Anhebung der Lautstärke bei gleicher Tonhöhe. Er initiierte 1895 den "Verein deutscher Orgelbaumeister" (heute: "Bund deutscher Orgelbaumeister") und war lange Jahre 1. Vorsitzender. Die Leistungsfähigkeit der Firma "Schlag & Söhne" geriet immens: zu Beginn des Jahres 1914 erreichte man das "Opus 1000". Bis 1923, so schätzt man, hat die Firma knapp die Hälfte aller schlesischen Orgeln repariert, erweitert, umgebaut, in den meisten Fällen jedoch neu erbaut.

Zwölf Jahre vor der Gründung von "Schlag & Söhne", 1857, eröffnete Wilhelm Sauer eine Orgelbauanstalt in Frankfurt/Oder, die bald zum führenden Orgellieferanten Preußens aufstieg. Auch Sauer hatte 1809 die "magische" Opuszahl 1000 erreicht und arbeitete auch stets mit den neuesten Entwicklungen des Orgelbaus: Die Kegellade führte er von Anfang an (1857) als einer der ersten in Norddeutschland ein, 1870 Freie Registerkombinationen, 1892 Röhrenpneumatik und schließlich die Anwendung von Erfindungen aus der Elektrotechnik. Das vielleicht bedeutendste Werk der Firma Sauer war wohl die Riesenorgel in der Breslauer Jahrhunderthalle, die unter der Regie von Karl Straube 1912 erbaut wurde. Zwar ging die Orgelbauanstalt Sauer 1916 in den Besitz der bekannten Ludwigsburger Orgelbaufirma Walcker über, doch wurde sie unter gleichem Namen fortgeführt. Bis 1945 entstanden sehr bedeutende Großorgeln im In- und Ausland, wobei die Opuszahl auf etwa 1600 anstieg. 1972 wurde der Betrieb unter DDR-Führung verstaatlicht, 1990 reprivatisiert.

Die Firma "Schlag & Söhne" war jedoch dem anstürmenden Wettbewerb der Firma Sauer und der schwierigen wirtschaftlichen Lage nach dem ersten Weltkrieg nicht gewachsen, so daß sie sich allmählich aus dem Geschäft zurückzog und schließlich verschwand.

Gustav Heinze lernte zunächst von 1889-1892 bei Carl Robert Uebe (auch Uibe, *1851, †nach 1892) in Neuzelle, arbeitete anschließend bei Herrmann Stiller (*25.07.1846, †11.04.1908) in Breslau und bildete sich danach bei Friedrich Ladegast (Weißenfels), Wilhelm Sauer (Frankfurt/O.) und Wilhelm Rühlmann (Zörbig) weiter. Nach seiner Militärdienstzeit vervollkommnete er seine Orgelbaukenntnisse bei der Firma Schlag & Söhne (Schweidnitz/Schlesien). 1904 gründete er in Sorau (Niederlausitz) einen Betrieb in der Auenstraße 36, der sich als Arbeitsfeld rasch die Niederlausitz und schließlich auch Oberschlesien erschloss. Später eröffnete er eine Filiale in Kolberg (Pommern) und eine in Weißenfels, die sich in dem (erhaltenen) Haus der heutigen Beuditzstraße 40 befand und von dem damals schon bejahrten Oskar Ladegast nicht nur geduldet, sondern sogar gern gesehen wurde. 1927 hatte Heinze Opus 150 und 1938 Opus 230 erreicht. Er erbaute Kegelladenorgeln mit pneumatischen und elektropneumatischen Trakturen, deren Zuverlässigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Klanglich beeindruckten diese Instrumente auch deshalb, weil u.a. Pfeifenmensuren verwendet wurden, wie sie Silbermann und Casparini gebrauchten. Die Werkstatt bestand bis zu Heinzes Vertreibung, nachdem sie in den letzten Jahren des 2. Weltkrieges von der Rüstungsfirma Focke-Wulf genutzt worden und später ein Teil der Niederlausitz samt Sorau an Polen gefallen war. Sein Sohn Lothar, seit 1935 ebenfalls Orgelbaumeister, übernahm 1946 die verwaiste Werkstatt „Adam Eifert Nachfolger“ in Stadtilm (Thüringen), welche er bis 1967 fortführen konnte.

Literatur

• Ludwig Burgemeister: Der Orgelbau in Schlesien, 2. Aufl., Weidlich Verlag, Frankfurt/Main, 1973
• Wolfgang Adelung: Einführung in den Orgelbau, 2. Aufl., Breitkopf & Härtel, Wiesbaden, 1991
• Hermann Fischer: 100 Jahre Bund Deutscher Orgelbaumeister, 1891-1991, Festschrift, Orgelbau-Fachverlag Rensch, Lauffen, 1991
• Quelle: Institut für Orgelforschung Brandenburg